Die Zeit der „Damenkarte“ ist vorbei. Interview mit Susanne Kazemieh.
Schon 1911 wurde erstmals der Internationale Tag der Frauen ausgerufen, seit den Siebzigern feiert die Welt ihn alljährlich am 8. März. Wir nahmen dieses besondere Datum zum Anlass, über Frauen und Finanzen zu sprechen – und haben dazu exemplarisch Susanne Kazemieh befragt, die sich beruflich seit Jahrzehnten sowohl mit Frauen als auch mit Finanzen beschäftigt. Kazemieh hat 1989 die FrauenFinanzGruppe in Hamburg gegründet. Hier beraten ausschließlich Finanzberaterinnen Frauen in Altersvorsorge-, Versicherungs- und Geldanlagefragen. Denn Kazemieh ist überzeugt: Finanzwirtschaft braucht Frauen-Power.
Expedition Wirtschaft: Sie waren ursprünglich auf dem Weg, Musiktherapeutin zu werden. Was hat Sie in den Achtzigern dazu gebracht, die Abzweigung in die Finanzwirtschaft zu wählen und sich sozusagen völlig neu zu erfinden?
Susanne Kazemieh: Es waren zum einen meine Wurzeln in der Emanzipationsbewegung und meine Beobachtungen in Sachen Benachteiligung von Frauen in Versicherungs- und Altersvorsorgefragen. Das hat mich politisch motiviert, mich damit näher zu beschäftigen. Zum anderen gab es aber auch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen – zum Beispiel ein Berater-Gespräch, das ich aus einem bestimmten Anlass aufgesucht habe und von dem ich sehr enttäuscht war. Dieses Gespräch war weder unabhängig noch individuell und hat mich nach dem Motto „Wenn man nicht alles allein macht …“ gewissermaßen nolens volens dazu bewogen, in eigenem Interesse in die Materie einzusteigen. Und zwar richtig tief! Ich wollte alles, was mit Geld, Vorsorge und Finanzen zu tun hat, verstehen, um selbstbestimmt entsprechende Entscheidungen zu treffen und mich nicht von anderen abhängig zu fühlen. Die Finanzwirtschaft ist ja auch eine total spannende Branche – sofern man nicht den Kopf in den Sand steckt und sie gar nicht wahrnimmt beziehungsweise wahrnehmen will …
Expedition Wirtschaft: Es gibt eine Reihe von Studien, die aufzeigen, dass Frauen anders mit Risiken umgehen als Männer – und auch anders mit Geld und Finanzen. Worin besteht diese „Anders“?
Susanne Kazemieh: Testosteron spielt ja ganz offensichtlich eine Rolle bei Entscheidungen – und zwar auch in Finanzfragen. Frauen da einzubeziehen, heißt deshalb auch, ein Korrektiv zu haben. Das ganze Thema Verantwortung ist viel eher ein weibliches Prinzip. Erst mal sondieren, dann streuen, das ist weiblich. Dem heißen Tipp nachzujagen, das ist eher männlich. In diesem Zusammenhang heißt es häufig, Frauen seien risikoscheu. Aber das ist falsch. Ich habe schon immer auf einen kleinen, aber feinen Unterschied in der Sprache Wert gelegt: Frauen handeln zwar risikobewusst, sind aber mitnichten risikoscheu. Risikobewusstsein heißt, die Risiken zu kennen, ihre Hintergründe zu durchdringen und Entscheidungen – auch solche, die ein Risiko bergen – dann mit eben diesem Bewusstsein zu treffen. So agieren Frauen eher als Männer, und viele Studien belegen das. Unter anderem kam vor Jahren die Züricher Wirtschaftsprofessorin Renate Schubert zu diesem Ergebnis und setzte quasi noch einen drauf, indem sie zeigen konnte, dass Frauen sogar risikobereiter werden, je mehr Infos sie haben. Bei Männern ist das genau umgekehrt. Das führt unter anderem dazu, dass Männer ihr Portfolio öfter umschichten als Frauen, ihr Fähnchen leichter nach dem Wind hängen. Bei Investments ist aber in der Regel ein langer Atem wichtig, auch und gerade in unruhigen Phasen, und den haben nachweislich eher die Frauen. „Hin und her macht Taschen leer“ ist einer meiner Leitsätze. Wofür mir die meisten meiner Kundinnen auch sehr dankbar sind.
Expedition Wirtschaft: 2009 haben Sie in einem Interview mit der Financial Times Deutschland gesagt, Sie seien davon überzeugt, dass die seinerzeit akute globale Finanzkrise „das weibliche Prinzip“ stärken werde. Ist es aus Ihrer Sicht so gekommen? Sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aus Ihrer Sicht insgesamt Veränderungsprozesse eingetreten?
Susanne Kazemieh: Was die Finanzwelt und das Drumherum angeht, sehe ich in Bezug auf wünschenswerte Veränderungen noch viel Luft nach oben. Aber wir haben zum Beispiel die Tendenz zu mehr Frauen in Führungspositionen bei Investmentgesellschaften und Banken. Wir haben seit dem vergangenen Jahr die Offenlegungsverordnung in Bezug auf nachhaltiges Investieren, das ESG-Rating und andere Steuerungsmechanismen, die sicherlich positive Veränderungsprozesse fördern. Dass Finanzberater*innen nunmehr dazu verpflichtet sind, ihre Kund*innen auf nachhaltige Investment-Optionen hinzuweisen und zu fragen, inwieweit sie dies berücksichtigen möchten, ist schon fast revolutionär. Dass Verbraucher*innen bezüglich grüner Investments vermehrt nachfragen, ist auch gut. Wie gesagt: Das Thema Verantwortung, in die Zukunft denken, sich langfristig, schützend und bewahrend aufzustellen, ist viel eher ein weibliches Prinzip. Also: Es tut sich was.
Expedition Wirtschaft: Gewissenhaftigkeit, Unparteilichkeit, berufswürdiges Verhalten – das sind drei wichtige „Berufsgrundsätze“ in der Wirtschaftsprüfung, Teamfähigkeit wird stets als wichtige Zusatzkompetenz genannt. Das sind doch, zumindest dem Klischee folgend, „typisch weibliche Qualitäten“. Dennoch sind in Deutschland nur 18 % aller Wirtschaftsprüfer*innen Frauen. Woran könnte das liegen?
Susanne Kazemieh: Als Finanzberaterinnen haben wir es in erster Linie mit Menschen zu tun. Mit vielen Kundinnen verbindet uns eine jahre- bis jahrzehntelange Beziehungsebene. Zu uns kommen Menschen mit einer eigenen Geschichte, die übrigens oftmals sehr spannend und inspirierend ist. Die Aufgabenstellungen, die daraus resultieren, sind wie die Textaufgaben der Mathematik – man muss rechnen können, aber das Wichtigste ist, die Geschichte zu sehen und daraus zu schließen: Wer sitzt mir hier gegenüber und warum, was kann ich für diese Frau tun, wie kann ich ihr Anliegen optimal lösen? Die Zeit der „Damenkarten“ im Restaurant, auf denen die Preise weggelassen wurden, ist ja zum Glück vorbei. Dementsprechend möchte ich meine Kundinnen ermutigen, sich mit ihren Finanzthemen auseinanderzusetzen, damit sie sich in die Lage versetzen, Entscheidungen treffen zu können. Und da sind schon immer noch, zumindest manchmal, dickere Bretter zu bohren. Die Wirtschaftsprüfung hat aus meiner Sicht den Ruf eines knüppelharten Zahlenjobs, für den man so gestrickt sein muss, dass man damit leben kann, von morgens bis abends mit Zahlen zu tun zu haben. Aber das ist wahrscheinlich ein etwas einseitiges Bild. Auch hier gibt es ja diese Textaufgaben, dieses Diskursive. Wenn das stärker ins Sichtfeld rücken würde, ließen sich bestimmt mehr weibliche Nachwuchskräfte für die Wirtschaftsprüfung begeistern – was, auch da bin ich mir ganz sicher, den Berufsstand in jeder Hinsicht bereichern würde.